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Archiv für 2024

Sparkasse Nürnberg: Urteil zu Prämiensparverträgen

Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat in der von unserer Kanzlei für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) geführten Musterfeststellungsklage gegen die Sparkasse Nürnberg heute sein erstinstanzliches Urteil (Az. 101 MK 1/20, nicht rechtskräftig) verkündet:

Urteil des BayObLG v. 28.02.2024, Az. 101 MK 1/20

Ganz im Sinne der angemeldeten Verbraucher hat der Senat in seinem Urteil festgestellt, dass in Formularverträgen „Prämiensparen flexibel“, die von der Musterbeklagten gegenüber Verbrauchern verwendet worden sind, die formularmäßige Bestimmung

„[…] Der Vertrag wird mit einer Laufzeit von |__1188 Monaten abgeschlossen.“

eine einseitig zu Lasten der Musterbeklagten verbindliche Gesamtlaufzeit des Vertrags „Prämiensparen flexibel“ für 1188 Monate und einen Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts der Musterbeklagten für diesen Zeitraum beinhaltet. Zudem stellt das BayObLG fest, dass die regelmäßig von der Sparkasse Nürnberg verwendete Formulierung zur Erklärung der ordentlichen Kündigung nicht als außerordentliche Kündigung ausgelegt oder umgedeutet werden kann.

Der erkennende 1. Zivilsenat des Bayerischen Oberste Landesgerichts stellt sich darüber hinaus aber  leider mit seiner Entscheidung in einem wesentlichen Punkt gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH), welche in jüngerer Zeit aus einer Vielzahl einschlägiger Urteile des  BGH klar hervorging (zuletzt BGH, Urt. v. 25. April 2023, XI ZR 225/21 m.w.N.): im Gegensatz zum BGH meint der hier erkennende Senat fehlgehend, dass es „allein interessengerecht ist, die Zinsanpassung unter Wahrung des absoluten Abstands des anfänglichen Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz vorzunehmen“. Die Ansetzung des vom BGH als richtig erkannten relativen Abstands schließt das BayObLG damit fälschlicherweise aus.

Dies spricht dafür, dass sich der BGH ein weiteres Mal mit dieser Thematik des Zinsabstands wird befassen müssen, zu welcher er bereits mehrfach – und eigentlich abschließend – Stellung genommen hat. Nach Einschätzung unserer Kanzlei wird der BGH das Urteil des BayObLG in diesem Punkt im Falle einer Revisionseinlegung revidieren müssen. Eine rechtskräftige Entscheidung verzögert sich mithin nicht zuletzt wegen dieses Unwillens des erkennenden 1. Zivilsenats des BayObLG, seine eigenen Überlegungen im Interesse einer einheitlichen, höchstrichterlich bestätigten Rechtsprechung unterzuordnen.

Im Übrigen ergibt sich aus dem Urteil des erkennenden Senats des BayObLG gleichwohl, dass die Sparkasse Nürnberg die von ihr seit Anfang der 1990er Jahre mit Verbrauchern abgeschlossenen Prämiensparverträge mit der Bezeichnung „S-Prämiensparen flexibel“  in der Vergangenheit regelmäßig zu niedrig verzinst hat, womit viele Verbraucher auch weiterhin beste Chancen haben dürften, gegenüber der Sparkasse Nürnberg die Nachverzinsung ihrer Prämiensparverträge individuell geltend zu machen.

Da jedenfalls die verwendeten Zinsanpassungsklauseln unwirksam waren, hatte die Sparkasse Nürnberg für die Verträge nach Einschätzung unserer Kanzlei über viele Jahre – nach eigenem Ermessen – regelmäßig eine zu niedrige Verzinsung angesetzt. Denn die Sparkasse Nürnberg griff für die Zinsanpassung auf – für die Kunden – ungünstige Referenzwerte und Berechnungsmethoden zurück. Zu nennen ist hier insbesondere die Ansetzung viel zu kurzläufiger Zinsreihen.

Sparkasse Nürnberg – Urteil: Zinsanpassungen erforderlich

Dass dieses Vorgehen der Sparkasse Nürnberg nicht vertragsgemäß war,  hat das BayObLG nun auch im Ergebnis bestätigt. Denn der erkennende 1. Zivilsenat hat entschieden, dass die Sparkasse Zinsanpassungen aufgrund abweichender Parameter vornehmen muss. Auf Grundlage des vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachtens ist für Verträge, welche zwischen September 1993 und Ende 2019 abgeschlossen wurden, als Referenzzinssatz die Zinsreihe der Deutschen Bundesbank für Bundeswertpapiere mit einer Restlaufzeit von 8 bis 15 Jahren (derzeitige Kennung BBSIS.M.I.UMR.RD.EUR.S1311.B.A604.R0815.R.A.A._Z._Z.A vormals WU 9554) für die Neuberechnung heranzuziehen. Das Gericht hat weiter festgestellt, dass die beklagte Sparkasse Nürnberg dabei verpflichtet ist, die Zinsanpassung in den betroffenen S-Prämiensparverträgen monatlich und ohne Berücksichtigung einer Zinsschwelle vorzunehmen. Die Entscheidung des Senats, dass bei der vorzunehmenden Zinsanpassung der absolute Zinsabstand zu wahren ist, dürfte – wie beschrieben – vor dem BGH keinen Bestand haben.

Diese Feststellungen führen für die Vergangenheit grundsätzlich zum Anspruch der Prämiensparkunden auf Nachverzinsung ihrer Verträge und zwar rückwirkend seit Vertragsbeginn.

Die regelmäßige Verjährungsfrist dieses Anspruchs beginnt dabei grundsätzlich frühestens ab dem Zeitpunkt der wirksamen Beendigung des Vertrags zu laufen. Denn hierzu hat das BayObLG in seinem Urteil festgestellt, dass der vertragliche Anspruch der, die Verbraucher sind, in Bezug auf das Guthaben inklusive der Zinsen aus den Prämiensparverträgen frühestens ab dem Zeitpunkt der wirksamen Beendigung des Sparvertrages entsteht.

Verbraucher, deren Ansprüche noch nicht verjährt sind, dürften vor diesem Hintergrund regelmäßig erhebliche Ansprüche gegen die Sparkasse Nürnberg geltend machen können. Zu beachten ist allerdings, dass Zahlungsansprüche von den Prämiensparkunden gegenüber der Sparkasse Nürnberg grundsätzlich individuell verfolgt werden müssen. Ein Zahlungstitel ergibt sich aus dem heutigen Urteil des BayObLG nicht.

Das Urteil des BayObLG ist noch nicht rechtskräftig. Es kann von beiden Seiten noch mit der Revision beim Bundesgerichtshof angegriffen werden.

Weitere Musterfeststellungsklagen

Aktuell führt unsere Kanzlei für den vzbv weitere Musterfeststellungsklagen zu Prämiensparverträgen. Da in allen drei Verfahren die ersten mündlichen Verhandlungen stattgefunden haben, ist eine Anmeldung von Ansprüchen durch betroffene Verbraucher zur Eintragung in das Klageregister nach dem Gesetz aber nicht mehr möglich.

Grundsätzlich möglich ist weiterhin die Verfolgung individueller Ansprüche auf Fortführung der Verträge oder auf eine Zinsanpassung bei Prämiensparverträgen, soweit nicht bereits eine Verjährung dieser Ansprüche eingetreten ist.

Ansprechpartner: Rechtsanwalt Klaus Rotter und Rechtsanwalt Tillmann Spörel (+49 89 64 98 45-0; mail@rrlaw.de)

Sparkasse Nürnberg Urteil           Sparkasse Nürnberg Urteil

 

Wirecard: BaFin haftet nicht

Der Bundesgerichtshof hat heute seinen Beschluss vom 10.01.2024 veröffentlicht, mit dem entschieden wurde, dass die BaFin nicht für Verluste mit Wirecard-Aktien haftet (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2024, Az. III ZR 57/23).

Der BGH hat damit eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen, die der Kläger gegen den im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 30. März 2023 (1 U 183/22) eingelegt hatte.

Nach Ansicht des BGH hat das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG) beziehungsweise unter dem Gesichtspunkt des unionsrechtlichen Staathaftungsanspruchs zu Recht verneint. Für eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 1, 3 AEUV sah der BGH keine Veranlassung.

In anderem Zusammenhang hatte der BGH bereits in früheren Entscheidungen eine Staatshaftung bzw. Haftung der BaFin für Anlegerverluste abgelehnt. Gem. § 4 Abs. 4 Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (FinDAG) nimmt die BaFin ihre Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahr. Dementsprechend hatte der BGH schon 2009 entschieden, dass einzelne Personen, die in geschäftlichen Beziehungen zu Kreditinstituten oder sonstigen Unternehmen und Privatpersonen stehen, denen gegenüber die Bundesanstalt Maßnahmen ergreifen kann, wegen eines bestimmten Handelns oder Unterlassens der Behörde keine Schadensersatzansprüche gegen sie erheben können (BGH, Urteil v. 07.05.2009, Az. III ZR 277/08). Diese Regelung wurde vom BGH als grundgesetzkonform und vom Europäischen Gerichtshof bereits 2004 als europarechtskonform angesehen.

Ansprechpartner: Rechtsanwalt Bernd Jochem und Rechtsanwältin Dr. Navideh Maleki (+49 89 64 98 45-0; mail@rrlaw.de)

Wirecard BaFin          Wirecard BaFin

Reform des KapMuG

Kurz vor Ende des Jahres 2023 hat das Bundesministerium der Justiz einen Referentenentwurf zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) vorgelegt. Mit den vorgeschlagenen Neuerungen sollen die Verfahren effektiver und vor allem schneller geführt werden können.

Rechtsanwalt Klaus Rotter hat als Berichterstatter des Gesetzgebungsausschusses Bank- und Kapitalmarktrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV)  die offizielle Stellungnahme des DAV zum Referentenentwurf miterarbeitet.

Das KapMuG stellt einen von mehreren zivilprozessualen Bausteinen dar, um Massenverfahren zu bündeln. In Verfahren wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation werden Tatsachen- oder Rechtsfragen, die sich in mehreren Einzelverfahren vor den Landgerichten gleichermaßen stellen, vor dem zuständigen Oberlandesgericht in einem einheitlichen Verfahren verhandelt und entschieden, wenn Parteien in mindestens zehn Einzelverfahren dies beantragen.

Der Referentenentwurf sieht u.a. folgende wesentliche Änderungen bei der Reform des KapMuG vor:

1. Verkürzung des Vorverfahrens beim Landgericht

Der Zeitraum, bis es von einem Ausgangsverfahren vor dem Landgericht zu einem Musterverfahren beim Oberlandesgericht kommt, soll verkürzt werden. Dazu werden gesetzliche Fristen angepasst, Zuständigkeiten weiter konzentriert und das Verfahren bis zu einem Eröffnungsbeschluss des Oberlandesgerichts verschlankt.

2. Stärkung des Oberlandesgerichts als Gericht des Musterverfahrens

Um dem Oberlandesgericht eine effiziente Verfahrensführung zu ermöglichen, soll dessen Stellung innerhalb des KapMuG-Systems gestärkt werden. So soll das Oberlandesgericht künftig selbst die sich aus den Ausgangsverfahren ergebenden Feststellungsziele für das Musterverfahren formulieren.

3. Reduzierung der Zahl der Verfahrensbeteiligten

Die Zahl der Verfahrensbeteiligten, die zur bisherigen Schwerfälligkeit des Musterverfahrens beiträgt, soll reduziert werden. Es soll keine Pflicht mehr geben, alle anhängigen Verfahren, die von der Entscheidung über die Feststellungsziele abhängen, auszusetzen und in das Musterverfahren zu drängen. Wollen Parteien nicht am Musterverfahren teilnehmen, sollen sie ihren Rechtsstreit künftig als Individualverfahren weiterführen können.

4. Beschleunigte Digitalisierung des Musterverfahrens

Die Gerichtsakten für Musterverfahren sollen vor Ablauf der bis 1. Januar 2026 laufenden Regelfrist des § 298a Absatz 1a Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) digital geführt werden müssen. So können die wegen der Vielzahl der Verfahrensbeteiligten bisher besonders langwierigen Akteneinsichten künftig parallel und schneller erfolgen.

Wir begrüßen ausdrücklich, dass das KapMuG fortgeführt werden soll. Die vorgeschlagenen Verbesserungen sind aus unserer Sicht gelungen, dennoch sehen wir an einigen Stellen noch Ergänzungsbedarf, so z.B. bei der Aufzählung der dem Gesetz insbesondere unterfallenden öffentlichen Kapitalmarktinformationen und bei der Frage der (Un-)Anfechtbarkeit der Entscheidung des Prozessgerichts über den Musterverfahrensantrag.

Ansprechpartner: Rechtsanwalt Klaus Rotter (+49 89 64 98 45-0; rotter@rrlaw.de).

Reform des KapMuG