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Wirecard: Rechtsschutzversicherung muss für Klage zahlen

Wichtige Entscheidung für Geschädigte in Sachen Wirecard: Rechtsschutzversicherung muss für Klage zahlen

In zweiter Instanz musste sich das OLG Karlsruhe mit der Frage befassen, ob die beklagte Rechtsschutzversicherung einem geschädigten Wirecard-Aktionär Kostendeckung für ein Vorgehen gegen ehemalige Vorstände der Wirecard AG und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young GmbH (EY) gewähren muss.

Die beklagte Rechtsschutzversicherung hatte die Kostenübernahme aus mehreren Gründen verweigert:

Mit Urteil vom 07.04.2022 (Az. 12 U 285/21) hat das OLG Karlsruhe dieser Argumentation eine Absage erteilt und die Rechtsschutzversicherung zur Kostenübernahme verurteilt.

Keine fehlende Erfolgsaussicht

Nach den Feststellungen des Gerichts dürfen keine überspannten Anforderungen an eine hinreichende Erfolgsaussicht gestellt werden. Ausreichend sei schon eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolgs, während im Zweifel zu Gunsten des Versicherungsnehmers zu entscheiden sei. Wirft ein Sachverhalt schwierige Rechts – oder auch Tatsachenfragen auf, läge schon deshalb stets eine hinreichende Erfolgsaussicht vor.

Ansprüche gegen EY

Sodann nimmt das Gericht eine summarische Prüfung des dargelegten Schadensersatzanspruchs gegen EY vor, der nach klägerischen Vortrag u.a. auf § 826 BGB gestützt wird. Aufgrund des vorgelegten Klageentwurfs gegen EY erachtete das Gericht den Anspruch als jedenfalls vertretbar. Auch seien hinreichende Anhaltspunkte für eine sittenwidrige Schädigung vorgetragen. Dies legten v.a. die Ergebnisse des Sonderuntersuchungsberichts von KPMG nahe. Der Einwand des Versicherers, andere Anleger seien bereits mit ihren Ansprüchen vor dem Landgericht gescheitert, war erfolglos. Inzwischen hat das OLG München einige Hinweise an das LG München I erteilt (OLG München, Hinweisbeschluss vom 13.12.2021 – 3 U 6014/21). Danach dürfen die Anlegerklagen nicht ohne umfassende Beweisaufnahme abgewiesen werden. Hierfür kann ein Sachverständigengutachten erforderlich werden. Auch in der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes sieht das Gericht Fehler in dem Vorgehen der Vorinstanz. Das Landgericht hatte das Vorliegen einer haftungsausfüllenden Kausalität verneint, obwohl hier eine Umkehr der Beweislast bzw. sogar eine Vermutung der Kausalität geboten sein kann.

Nach alldem könne sich, so dass OLG Karlsruhe, der Rechtsschutzversicherer folglich nicht darauf stützen, dass ein Vorgehen gegen EY keinen Erfolg bieten würde. Insbesondere gehe der Verweis auf bereits vorliegende klageabweisende Urteile des LG München I fehl.

Ansprüche gegen die ehemaligen Vorstände

Auch die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die ehemaligen Vorstände aus § 826 BGB bieten nach Ansicht des OLG Karlsruhe eine hinreichende Erfolgsaussicht. Eine Haftung der Vorstände komme nämlich insbesondere dann in Betracht, wenn diese bewusst unrichtige Ad-hoc-Mitteilungen veröffentlichen und hierdurch den später geschädigten Anleger zum Aktienerwerb veranlasst haben. Der Kläger habe vorliegend schlüssig dargelegt dass die ehemaligen Vorstände die Bilanzen der Wirecard AG künstlich aufgebläht und so auch über die Veröffentlichung unrichtiger Ad-hoc-Meldungen über die tatsächliche Vermögenslage der Wirecard AG getäuscht haben.

Keine Mutwilligkeit

Den Einwand der Mutwilligkeit lehnt das OLG Karlsruhe ebenfalls ab. Hierfür müsste der entstehende Kostenaufwand in einem groben Missverhältnis zum angestrebten Erfolg stehen.

Nach Ansicht des Gerichts kann es nicht als mutwillig gelten, dass der Kläger nicht den Fortgang anderer laufender Verfahren abwartet. Die Frage ob man dies überhaupt als mutwillig einordnen kann, lässt das Gericht ausdrücklich offen, da jedenfalls ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Verfolgung seiner Ansprüche besteht. Dies schon um eine drohende Verjährung zu verhindern.

Auch ein KapMuG-Verfahren bzw. ein Vorlagebeschluss des LG München I ändere nichts hieran. Schließlich binde der aus einem KapMuG-Verfahren resultierende Musterentscheid nur bereits rechtshängig gewordene Verfahren (§ 22 Abs. 1 KapMuG.).

Schadensminderungsobliegenheit und Weisungsbefugnis des Versicherers

Den zugrundeliegenden § 17 ARB erachtet das OLG Karlsruhe unter Berufung auf eine Entscheidung des BGH wegen Intransparenz in Teilen als unwirksam. Somit kommt es für die Beurteilung einer Schadensminderungsobliegenheit und einer Weisungsbefugnis auf § 82 Abs. 1 und Abs. 2 VVG an.

Das Gericht verneint zwar nicht grds. das Vorliegen einer Schadensminderungsobliegenheit und einer Weisungsbefugnis aus § 82 Abs. 1 und Abs. 2 VVG, strittig ist allerdings deren Reichweite. Insbesondere darf der Versicherer nicht in die Prozessführung des Rechtsanwalts eingreifen. Der Versicherer würde i.d.R. nicht beurteilen können, welche Maßnahmen zur bestmöglichen Interessenwahrnehmung erforderlich sind.

Der Versicherer sei nicht befugt dem Versicherungsnehmer die Weisung zu erteilen, andere Verfahren abzuwarten. Wie die Hinweisbeschlüsse des OLG München zeigen, sei mit langwierigen und langjährigen Prozessen aufgrund einer umfassenden Beweisaufnahme zu rechnen. Die Ansprüche des Anlegers drohten deshalb zu verjähren.

Wirecard: Rechtsschutzversicherung – Anmerkung zum Urteil des OLG Karlsruhe

Das OLG Karlsruhe setzt sich eingehend mit den gängigen Exitpoints der Versicherer auseinander und schiebt der Ablehnung einer Kostenüberübernahme im Fall Wirecard einen Riegel vor. Wirecard-Aktionäre werden durch eine überzeugende Argumentation vom OLG Karlsruhe in ihrem Begehren auf Kostendeckung gestützt. Die Entscheidung ist zu begrüßen, zumal viele Versicherungsnehmer gar nicht erst gerichtlich gegen ihren Versicherer vorgehen.

Wie aus dem Urteil ersichtlich ist, besteht die Gefahr, dass Rechtsschutzversicherer die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen zu weit zu ihren Gunsten auslegen.

Außergerichtliches Vorgehen und Schadensminderungsobliegenheit

Insbesondere die Subsumtion eines außergerichtlichen Vorgehens unter eine fehlende Erfolgsaussicht oder gar Mutwilligkeit erfordert stringente Argumente, welche in Deckungsabsagen oft fehlen. So besteht der Eindruck, dass dem Geschädigten die elementare Option einer außergerichtlichen Einigung gänzlich genommen werden soll. Auch die Berufung auf eine (in Grundzügen zwar bestehende) Schadensminderungsobliegenheit des Versicherungsnehmers vermag diesbezüglich nicht zu überzeugen. Denn vorrangig soll dieser nicht in der Wahrnehmung seiner Interessen beschnitten werden. Hierzu führte das Amtsgericht Essen-Borbeck in einem Urteil (AG Essen-Borbeck Urteil vom 23.03.2009 – 6 C 287/08) zutreffend aus:

„Danach folgt allein, dass der Versicherungsnehmer alles zu vermeiden hat, was eine unnötige Erhöhung der Kosten […] verursachen könnte. Dies gilt jedoch nur, soweit die Interessen des Versicherungsnehmers nicht unbillig beeinträchtigt werden. Eine solche unbillige Beeinträchtigung läge aber vor, wenn der Versicherungsnehmer in jedem Fall sofort Klage erheben […] müsste. Die Möglichkeit, die Angelegenheit […] ohne großen Aufwand und ohne große Aufmerksamkeit aus der Welt zu schaffen, wäre dem Versicherungsnehmer von Anfang an genommen. Dies ist unbillig und kann auch nicht damit begründet werden, dass ein außergerichtliches Vorgehen regelmäßig keinen Erfolg hat. Im Übrigen entspricht der Versuch einer vorherigen außergerichtlichen Beilegung eines Rechtsstreits in vollem Umfang der Intention des Gesetzgebers.“

Ein außergerichtliches Verfahren kann demnach nicht von vornherein als aussichtslos bezeichnet werden, schon gar nicht ohne umfassende Argumentation anhand des konkreten Einzelfalls. Ein außergerichtliches Vorgehen ist im Falle einer Einigung sogar kostengünstiger als der Klageweg. Den Versicherungsnehmer trifft ja gerade eine Schadensminderungsobliegenheit, wie es die Versicherer geltend machen.

Erfolgsaussichten einer Klage gegen EY

Die Ansicht, die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen im Klagewege gegen EY biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, hat das OLG Karlsruhe zu Recht unter Verweis auf einen Hinweisbeschluss des OLG München (OLG München Hinweisbeschluss vom 13.12.2021 – 3 U 6014/21) angegriffen. Indes darf ein Versicherer bzgl. fehlender Erfolgsaussichten nicht auf bereits vorliegende abweisende Urteile des LG München I abstellen.

Wie das OLG Karlsruhe in seinen Urteilsgründen herausgearbeitet hat, kritisiert das OLG München die bisherige Vorgehensweise des LG München I in der Angelegenheit Wirecard scharf. So heißt es im Tenor, dass „[…] die Entscheidung des Landgerichts – wie in zahlreichen Parallelverfahren – an Rechts- und Verfahrensfehlern leiden dürfte, durch die eine sehr umfangreiche Beweisaufnahme in erster Instanz vermieden wurde“. Das OLG sieht folglich eine umfangreiche Beweisaufnahme als essentielles Erfordernis eines ordnungsgemäßen Verfahrens. Insbesondere rügt das OLG, dass es gerade nicht offenbleiben kann, ob eine Pflichtverletzung seitens EY vorliegt, da ein Schadensersatzanspruch ohnehin an der fehlenden haftungsbegründenden Kausalität scheitern würde. Insbesondere übersehe das Landgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach zwischen der Geltendmachung des Kursdifferenzschadens und einer Rückabwicklung des Wertpapierkaufs unterschieden werden muss. Beim Kursdifferenzschaden muss gerade kein solcher Kausalitätsnachweis erbracht werden – es reicht die Ursächlichkeit zwischen fehlerhafter Preisbildung und Pflichtverletzung aus. Soweit es um die Kausalitätsfrage bzw. Erleichterungen des Kausalitätsnachweises geht, insbesondere die Erzeugung einer positiven Anlagestimmung durch einen Bestätigungsvermerk, regt das OLG die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.

Nach allen Feststellungen und Rügen des OLG München kann im Einklang mit den Feststellungen des OLG Karlsruhe nicht von mangelnden Erfolgsaussichten eines Klageweges in Sachen Wirecard ausgegangen werden.

Wirecard: Rechtsschutzversicherung darf nicht auf KapMuG-Verfahren verweisen

Nicht ersichtlich ist, weshalb die Einleitung eines Musterverfahrens nach dem KapMuG ein Abwarten eines Anspruchsinhabers begründen sollte. Richtigerweise weist das OLG Karlsruhe auf die nur begrenzte Bindungswirkung eines Musterentscheids hin. Denn nach § 22 Abs. 1 S. 1 KapMuG bindet der Musterentscheid die Prozessgerichte in allen nach § 8 Abs. 1 ausgesetzten Verfahren. Nach § 8 Abs. 1 KapMuG werden im Falle eines Musterverfahrens alle anhängigen Verfahren ausgesetzt. Das heißt, wird ein Schadensersatzbegehren eines Geschädigten bis zum Abschluss eines Musterverfahrens nicht anhängig gemacht, erstreckt sich die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Musterentscheids nicht auf dieses Begehren.

Pflicht zu Rechtsausführungen

Letztlich lässt sich beobachten, dass Rechtsschutzversicherer vermehrt eine umfassende rechtliche Würdigung des Sachverhaltes fordern. Oftmals wird sogar die Übersendung der Klageschrift verlangt. In dem hiesigen Verfahren war dies nicht Streitgegenstand, da der Kläger seiner Versicherung die Klage vorgelegt hatte. Zur Ergänzung soll deshalb noch erläutert werden, dass weder für den Versicherungsnehmer noch für den vertretenden Rechtsanwalt die Pflicht zu Rechtsausführungen im Rahmen einer Deckungsanfrage besteht. Im Urteil des AG Königstein vom 27.02.2013 – 21 C 1307/11 heißt es: „Rechtsansichten oder Urteile zur Frage der Angemessenheit der geltend gemachten Anspruchshöhe musste der Kl. nicht bezeichnen […]. […]. Nach § 17 III ARB ist der Versicherungsnehmer lediglich verpflichtet, über „Umstände“ zu informieren. Das Wort „Umstände“ wird in der Rechtssprache im Allgemeinen synonym für „Tatsachen“ verwendet.“ Der heutige § 17 I lit. b. ARB spricht wie der damalige § 17 III ARB immer noch von „Umständen“. Nichts anderes ergibt sich nach Auswertung der Literaturstimmen. So sieht Cornelius-Winkler ebenfalls keine Verpflichtung zu Rechtsausführungen (vgl. Harbauer/Cornelius-Winkler, ARB 2010, 9. Aufl. 2018, § 17 Rn. 39; Cornelius-Winkler, Joachim: Rechtsschutzversicherung Teil 1: Grundlagen und versichertes Risiko, SVR 2011 Heft 2, 41, 44).

Allerdings vereinfachen einige Rechtsausführungen zum streitgegenständlichen Sachverhalt die Prüfung der Erfolgsaussichten für den Versicherer und erhöhen so die Erfolgsaussichten einer Deckungsanfrage.

Ansprechpartner: Rechtsanwalt Bernd Jochem (+49 89 64 98 45-0; mail@rrlaw.de)

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